Fallstudien
In diesem Kapitel werden wir uns drei Fallstudien genauer ansehen, die zeigen, dass Abfälle effizient wiederverwendet werden können. Die im Folgenden beschriebenen Unternehmungen haben gezeigt, dass die Nutzung von Abfällen als Ressource kein komplexer Prozess ist und auf relativ kostengünstige und einfache Weise erfolgen kann.
Fallstudie Nr. 1: Intelligente Wiederverwendung von biogenen Abfällen
Fallstudie: Agri Protein (ein britisch-südafrikanisches Agrarunternehmen – https://www.agriprotein.com/ – nutzt Industrieanlagen von Christof Industries https://www.christof.com/en/ aus Graz, Österreich) in Philippi, einem Township in Kapstadt, Südafrika, mit etwa 200.000 EinwohnerInnen.
Das Unternehmen nutzt biogene Abfälle als Nahrungsquelle für Fliegenlarven, die zu eiweißreichem Tierfutter verarbeitet werden und so zur Bekämpfung der Überfischung der Meere beitragen. Das Larvenmehl dient als hochwertiger Ersatz für Fleischmehl, das sowohl in der Hühner- als auch in der Fischzucht noch massenhaft eingesetzt wird.
Konkret bedeutet dies, dass das Unternehmen täglich rund 250 Tonnen Abfälle aus Lebensmittelfabriken, Supermärkten und Restaurants sammelt. Die verschiedenen Arten von organischen Abfällen werden hier vollständig recycelt. Zunächst wird eine Qualitätskontrolle durchgeführt, und dann werden die Abfälle zu einem geeigneten und sicheren Futtermittelsubstrat verarbeitet. Mit diesen Abfällen werden mehr als 8 Milliarden schwarze Soldatenfliegen gefüttert, die in zeltartigen Brutkästen schwirren, die einen natürlichen Lebensraum simulieren (z. B. ahmen bestimmte Lichtwellenlängen die Morgen- und Abenddämmerung nach). In einer benachbarten Halle krabbeln die Larven bei 35 Grad in fein säuberlich beschriftete Regale und fressen sich durch ihr spezielles Menü: Innerhalb ihrer zehntägigen Lebenszeit erhöhen sie ihr Gewicht um das 200-fache. Nach zehn Tagen werden die Larven und das Substrat in verschiedene Produktströme getrennt. Die Fliegen werden zu einem biologischen Futtermittel für die Produktion von hochwertigem Eiweiß oder für die Bodenaufbereitung.
„AgriProtein`s nahrhaftes Recycling hilft Lebensmittel- & Abfallprobleme zu lösen“
Quelle: https://circle-lab.com/node/3977
Legende:
MagSoil: nutrient rich soil = Nährstoffreicher Boden
Organic Food Waste = Organische Lebensmittelabfälle
Transportation = Beförderung
Factory for processing = Fabrik für die Verarbeitung
Flies lay eggs which hatch to larvae = Fliegen legen Eier aus denen Larven schlüpfen
Larvae feed on waste recycling the nutrients = Larven ernähren sich von Abfällen und verwerten die Nährstoffe
Dried larvae processed into ground meal (MagMeal) & oil (MagOil) = getrocknete Larven werden zu Mahlzeiten verarbeitet
MagMeal fed to poultry, fish and pigs = MagMeal wird an Geflügel, Fische und Schweine verfüttert
MagOil Biofuel/ Feed oil = MagOil Biokraftstoff/ Speiseöl
MagMeal: high quality protein meal = MagMeal: hochwertige Proteinmahlzeit
Around 50 tonnes of feed are produced every day this way and sold to farmers in the neighbourhood.
Auf diese Weise werden täglich rund 50 Tonnen Futtermittel produziert und an LandwirtInnen in der Umgebung verkauft.
Gelernte Lektion:
Die Wiederverwertung von Lebensmitteln aus Über- oder Fehlproduktionen und die Vermeidung von Mülldeponien haben ein großes Potenzial und sollten weltweit praktiziert werden. Abfälle werden als wiederverwertbares Material angesehen, und es wird nach Lösungen gesucht, um den steigenden Nahrungsmittelbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung durch ein „Zero Waste“-System zu decken.
Fallstudie Nr. 2: Kaffeeaufguss für die Pilzproduktion
Nur etwa 6 % der in österreichischen Supermärkten verkauften Pilze stammen aus Österreich, der Großteil wird importiert. „Hut und Stil“, initiiert von Manuel Bornbaum und Florian Hofer, bietet Workshops zum Pilzanbau auf Basis von Kaffeesud an. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das deutsche Kleinstunternehmen Chido’s Mushrooms.
Bornbaum und Hofer sammeln täglich Kaffeesatz in Plastikbehältern von Kantinen, Hotels, Restaurants, Kaffeehäusern, FriseurInnen und ähnlichen Betrieben mit dem Lastenfahrrad ein und tauschen ihn vor Ort gegen leere Plastikbehälter zum Wiederbefüllen. Der Kaffeesatz enthält noch viele wertvolle Nährstoffe, die besonders gut für das Wachstum von Austernpilzen sind.
Quelle: https://pixabay.com/de/photos/austernpilze-pilze-essbare-pilze-5725948/
Sie leeren den Kaffeesatz in umgebaute Mischmaschinen, um Kalk und auflockernde Kaffeeschalen und Pilzsporen hinzuzufügen, oder Getreidekörner wie Hirse oder Roggen werden damit „geimpft“ und gut vermischt. Diese Mischung wird dann in große schwarze Plastiksäcke gefüllt, die versiegelt und etikettiert werden. Diese Plastikbeutel werden zunächst in den „Inkubationsraum“ gestellt, wo sich die Pilze bei einer Temperatur von höchstens 27° Celsius ausbreiten können, d. h. der Austernpilz kann seine Hyphen, weiße, fadenförmige Zellen, die das Mycel bilden, ausbilden.
Etwa vier bis fünf Wochen nach dem Befüllen werden die Plastikbeutel in einen anderen Raum, die Fruchtkammer, gebracht – dort werden die Plastikbeutel in Metallregale gehängt und an einem deutlich kühleren Ort gelagert, denn die Pilze mögen es in dieser Phase kühl und feucht. Um die Pilzfruchtkörper sprießen zu lassen, werden die Plastiksäcke nun auch an einigen Stellen perforiert, um einen Lichtreiz zu setzen (zwei bis vier Kreuze in jedem der Säcke). Nach etwa einer Woche sind die Pilze erntereif; die Pilze haben mit ihrem Myzel das gesamte Substrat durchwachsen und die so genannten Primordien, also Stecknadelköpfe, gebildet.
Die Pilze werden wiederum von den Jungunternehmern beim Sammeln von neuem Kaffeesatz an die Unternehmen geliefert oder an Supermärkte verkauft. Jährlich können sechzig Kilogramm Pilze pro Quadratmeter geerntet werden, oder aus etwa 1.000 kg Kaffeesatz können etwa 150 kg Pilze gezüchtet werden. Statt auf großen Flächen und mit viel Wasser wachsen sie in dunklen, feuchten Kellern.
Mit Mundschutz, Skalpell und Desinfektionsmittel werden von den zuvor geernteten Austernpilzen vorsichtig winzige Stücke abgeschnitten. Diese werden in Petrischalen mit einer so genannten Agar-Nährlösung gegeben und fest verschlossen. Wenn alles sterilisiert ist, kann man zusehen, wie der Pilz sein Pellchen – die Hyphen – bildet, und ihn klonen.
Gelernte Lektionen:
Die Verwendung von Kaffeesud für die Pilzzucht zeigt, dass die Wiederverwendung von Abfällen kostengünstig und einfach zu realisieren ist. ExistenzgründerInnen müssen Zeit in die Entwicklung einer detaillierten Strategie und eines Geschäftsmodells investieren und das bereits vorhandene Know-how nutzen, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen.
Fallstudie Nr. 3: Plastikmüll als Ressource
Kunststoffflaschengranulat in 3D
(Fleece) Pullover werden aus recycleten PET Flaschen hergestellt
Quelle: https://pixabay.com/photos/jeans-fashion-ruptured-modern-828693/
PET-Kunststofffasern können verarbeitet und für die Herstellung neuer PET-Produkte verwendet werden [29]. Bei diesen neuen PET-Produkten könnte es sich beispielsweise um Kleidungsstücke wie T-Shirts oder Sportschuhe, Automobilteile wie Teppichfasern oder Polsterungen, industrielle Umreifungsbänder, Folien und Filme, Verpackungen sowie Flaschen für Lebensmittel/Non-Food-Produkte usw. handeln. Es kann auch verwendet werden, um normale Plastikflaschen in 3D-Druck-Filament zu verwandeln.
PET ist eines der wenigen Polymere, das immer wieder zu der gleichen Form recycelt werden kann. In einigen Fällen kann neues PET-Granulat hinzugefügt werden. Ein Hersteller von Kunststoffflaschen in Österreich (Vöslauer) recycelt z. B. 95 % seiner PET-Verpackungen. Der PET-to-PET-Lebenszyklus von Vöslauer-Flaschen sieht folgendermaßen aus: Gebrauchte PET-Flaschen werden über das Sammelsystem im ganzen Land gesammelt. Nach der Entsorgung werden die PET-Flaschen nach Farben sortiert, zu Großballen gepresst, die rund 250 Kilogramm wiegen und etwa 10.000 PET-Flaschen enthalten, und in die Recyclinganlage nach Müllendorf transportiert. Dort werden sie zu PET-Flakes und PET-Granulat verarbeitet und durchlaufen zwei unterschiedliche Prozesse. Während in der einen Anlage die Reiningung der PET-Flakes stattfindet, werden sie in der anderen Anlage geschmolzen und zu Granulat verarbeitet. Die PET-Flakes und -Granulate werden schließlich an den Flaschenhersteller geliefert und für die Produktion neuer Flaschen verwendet [30].
PET-Flocken und -Granulat können auch auf Mikroebene hergestellt werden. Die dafür erforderlichen Verfahren sind die gleichen wie im industriellen Maßstab. ExistenzgründerInnen, die ein Unternehmen für die Wiederverwendung von Kunststoffen gründen wollen, müssen Folgendes tun:
- Wasserflaschen sammeln
- alle äußeren Verschlüsse oder Dichtungen entfernen
- sie ordnungsgemäß reinigen
- die Flaschen vakuumversiegeln und erhitzen, um sie zu verkleinern
- die Flaschen abkühlen
- sie mit einer Säge und einer Schere in kleinere Stücke schneiden
- die Stücke in kleine Stücke zerkleinern
- die Stücke 4 Stunden lang bei einer Temperatur von 160 °C trocknen
- Einführen des PET in einen „Next-Filament-Extruder“
Die für die Verarbeitung von Kunststoffabfällen erforderlichen Maschinen sind verfügbar und auch für neue Unternehmen relativ erschwinglich. Precious Plastic, ein niederländisches Open-Hardware-Recyclingprojekt, bietet detaillierte Lösungen für andere Start-ups, die ihre eigenen Schredder-, Extrusions-, Spritzguss- und Kompressionsmaschinen bauen wollen [31].
https://3devo.com/blog/pet-recycling-bottle-filament/
Gelernte Lektionen:
Die Reinigung der Flaschen ist mit großem Aufwand verbunden, da die Kunststoffabfälle aus den Deponien verunreinigt und in vielerlei Hinsicht unrein sind. Aus rechtlicher Sicht kann die Flaschenverarbeitung kompliziert sein, da Start-ups strenge gesetzliche Auflagen erfüllen müssen. Man muss auch bedenken, dass verschiedene Kunststoffarten unterschiedliche Arten von Filamenten erzeugen. Polyethylen hoher Dichte, wie es zum Beispiel in Shampoo Flaschen vorkommt, lässt sich relativ leicht zu Filamenten verarbeiten, aber nur schwer bedrucken, da es beim Abkühlen stärker schrumpft als andere Kunststoffe. PET hingegen lässt sich besser bedrucken, ist aber spröde und lässt sich daher nur schwer als Filament aufspulen.